Arbeitsgemeinschaft AIDS-Prävention NRW

MiTest-Studie: Zugang von Migrantinnen und Migranten zu HIV/STI-Beratung

29. September 2015 - Die aktuelle HIV&more 3/2015 berichtet über die MiTest-Studie des Robert-Koch-Institutes. Die Studie ging der Frage nach, wie zugänglich Beratungs- und Testangebote zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) für zugewanderte Menschen sind.

Angesichts der Tatsache, dass der Anteil der HIV-Neudiagnosen bei Menschen mit nicht-deutscher Herkunft 2013 bei 32 Prozent lag und knapp die Hälfte davon vermutlich in Deutschland erworben wurden, ist die Erforschung konkreter Zugangsbarrieren von erheblicher Bedeutung.


Diskussion in Fokusgruppen und Erhebungen per Fragebogen

Die Forscherinnen Navina Sarma und Adama Thorlie diskutierten in sieben deutschen Städten gemeinsam mit

  • Beraterinnen und Beratern, Sprach-und Kulturmittlerinnen und -mittlern und anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der HIV/STI-Beratungs- und Testangebote vor Ort
  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus migrantenspezifischen Einrichtungen und
  • einigen Schwerpunktärztinnen und -ärzten aus den Bereichen der hausärztlichen und gynäkologischen Versorgung

Zugangsbarrieren für Zugewanderte und Ansätze zu deren Beseitigung. Darüber hinaus wurden per Fragebogen detaillierte Informationen zu den Beratungs- und Testangeboten in der jeweiligen Stadt erhoben.

Die regionalen Ergebnisse wurden in einem bundesweiten Workshop zusammengetragen und mit allen Fokusgruppen ausgewertet. 


Manche Gruppen sind mit zugehenden Angeboten sehr gut erreichbar

In allen Städten ist feststellbar, dass bestimmte Zugewanderte mit einer vermutlich höheren Vulnerabilität mit aufsuchenden Angeboten sehr gut erreicht werden können. Dies trifft nachvollziehbarerweise dann zu, wenn die Gruppierungen über bestimmte Settings (Sexarbeit, i.v. Drogengebrauch, Asylunterkünfte usw.) zugänglich sind.

Als schwierig wird der Zugang zu bestimmten Teilgruppen beschrieben, so zum Beispiel zu drogenkonsumierenden Sexarbeitern ukrainischer Herkunft ohne schwule Identität oder zu rumänischen Frauen, die aus Not heraus in der Sexarbeit tätig sind, sich aber nicht als Sexarbeiterinnen outen möchten. 


Zugangsbarrieren auf verschiedenen Ebenen

Die Fokusgruppen haben folgende Zugangsbarrieren identifiziert:

Rahmenbedingungen

  • Fehlende HIV-Behandlungsoptionen bei ungeregeltem Aufenthaltsstatus bzw. fehlender Krankenversicherung
  • Komplexe bürokratische Vorgänge (zum Beispiel Aufenthaltsstatus, Krankenversicherung)
  • Stigmatisierung und (rassistische) Diskriminierung bei möglicher HIV-Diagnose
  • Kriminalisierung bei wissentlicher HIV-Übertragung

Angebote

  • Angebote sind nicht bedarfsangepasst
  • Einige Migrantinnen und Migranten fühlen sich nicht angesprochen
  • Ärztinnen und Ärzte sind nicht ausreichend für Thema sensibilisiert bzw. geschult
  • Fehlende Identifikationflächen (zum Beispiel kaum Sprachmittlung, kaum Migrantinnen und Migranten im Team, fehlende (Kultur-) Sensibilität)
  • Ethik des Testens bei fehlenden Behandlungsoptionen

Nutzung

  • Wissenslücken, Tabuisierung bezüglich HIV und sexueller Gesundheit
  • Migrationsbedingte Situation (zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Abhängigkeiten, fehlende Deutschkenntnisse, fehlende Orientierung im Gesundheitssystem)
  • Ängste vor Ausschluss aus der Community und Ausweisung aus Deutschland

Identität

  • Die Autorinnen heben besonders die Barriere der Identitätszuweisung von außen hervor: "Angebote werden vor allem dann angenommen, wenn sie die Menschen mit ihrer selbst zugeschriebenen Identiät ansprechen und nicht, wenn umgekehrt von außen Identitäten für bestimmte Gruppen festgelegt werden."


Abbau von Zugangsbarrieren

Als Möglichkeiten, Zugangsbarrieren abzubauen, wurden identifiziert:

  • Sensibilisierung des Personals in Test-, Beratungs- und Versorgungseinrichtungen für das Thema sexuelle Gesundheit und HIV
  • Förderung der Kultursensibilität (mit dem Ziel des Abbaus von Diskriminierung und Stigmatisierung)
  • Etablierung einer Willkommenskultur
  • Focus auf den Ressourcen der Migrantinnen und Migranten
  • Einbindung von Migrantinnen und Migranten in die Ermittlung von Handlungsbedarfen und -möglichkeiten
  • Kontinuierliche Bedarfsermittlung durch Qualitätssicherung und/oder wissenschaftliche Begleitung
  • Kultur- und Sprachmittlung
  • Niedrigschwellige Angebote
  • Aufsuchende Arbeit
  • Entsprechende personelle und finanzielle Ausstattung
  • Intensive Vernetzung von HIV/STI-Beratung und -Testung, Beratungseinrichtungen für Migrantinnen und Migranten sowie der Ärzteschaft
  • Um die Frage "Selbstidentität" besser zu berücksichtigen, ist die Partizipation von Migrantinnen und Migranten sowohl in der Forschung als auch in den Beratungsstellen sehr wichtig.


Eine Onlineversion des Artikel in der aktuellen HIV&more finden Sie unter hivandmore.de.

Mehr zur MiTest-Studie lesen Sie auch unter rki.de.

 

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